Unbegrifflichkeit (1)

Idealvorstellungen gibt es in der Philosophie viele, im Grunde in jeder ihrer Teildisziplinen. Die Eindeutigkeit der Bezeichnung ihrer Begriffe gehört dazu. Die konkrete Sprachpraxis wissenschaftlicher Kommunikation erhebt sie zur Maxime, zur Erfüllung eines weiteren Ideals, nämlich der diskursiven Verständigung. Die „Reduzierung auf die reine Übermittlungsfunktion“ (Blumenberg; Ästhetische und metaphorologische Schriften; S. 125) der Sprache leitet diese Maxime an. Störungsfreie Kommunikation gilt als Indiz für Verständlichkeit, ein weiteres Ideal. Der historische Hintergrund für die geforderte Eindeutigkeit der Begriffe reicht bis in die Entstehung der modernen Wissenschaften in der Neuzeit zurück; Descartes gibt es als besondere und notwendige Qualifikation für den Begriff aus, festgehalten in der ersten Regel des Discours de la méthode als Vorschrift zur Klarheit und Deutlichkeit.

Der diskursiven Funktion der Sprache ist ihre expressive zur Seite zu stellen, nicht als Gegenmodell und nicht in einer hierarchischen Anordung als defizient und abkünftig, sondern als Aufweis einer Normierung, welche den Ausdruckscharakter der Sprache bewußt macht, neben ihrer medialen Funktion für die Kommunikation. Die moderne Dichtung hat sich dem Postulat der Eindeutigkeit und Verständlichkeit am meisten widersetzt; sie schafft über die Ambiguität ihrer Expressionen eine andere Sprachwirklichkeit durch Steigerung ihrer Vieldeutigkeit. Noch Husserl, einer der letzten Cartesianer der modernen Philosophie hängt dem Ideal der Eindeutigkeit nach. Eine endgültige Terminologie gehört zum Leitbild der Phänomenologie. Dieser Endzustand ist als einer zu denken in einem rein begrifflichen Sinne. Alle Formen der Unbegrifflichkeit sind aus dieser Terminologie getilgt.



2 Antworten zu „Unbegrifflichkeit (1)”.

  1. Es wird daher immer Aufgabe bleiben, mit dieser Unbegrifflichkeit umzugehen. Wenn Sprache beständig von ihrer Veränderung bestimmt wird und noch der Faktor hinzukommt, dass sich Kommunikationssender und
    -empfänger in unterschiedlichen Lebenswelten befinden, so wäre doch das Hauptaugenmerk darauf zu legen, dass der Kommunikationsempfänger dem Kommunikationssender eine offene Haltung entgegen bringt. Mit offener Haltung meine ich, ein bemühen darum ihn wirklich verstehen zu wollen.
    War das auch einer der Gründe, warum es für Hans Blumenberg selbstverständlich war, und er von seinen Studenten forderte, sich mit der altgriechischen Sprache auseinanderzusetzen um die Texte in ihrer Tiefe zu verstehen?

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  2. Hans Blumenbergs Berufsstand war einer, der heute im Aussterben begriffen ist und an den Akademien und auf den Lehrstühlen selten geworden ist: er war ein Gelehrter – mit all den Konnotationen und Assoziationen, die man noch heute damit verbindet. Der Beginn seiner Lehrtätigkeit wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fällt in eine Zeit, in der Gelehrsamkeit selbstverständlich war und dazu gehörten Kenntnisse des Griechischen und Lateinischen. Als Fächer wurden ja diese Sprachen an den (altsprachlichen) Gymnasien unterrichtet, d.h. Latein lernte man in der „Untertertia“; das war die vierte Klasse. Später kam Griechisch dazu. Als ich zum Gymnasium ging, war das altsprachliche Gymnasium noch nahezu die Regel; d.h. alle Schüler lernten das, ob sie nun später ein geisteswissenschaftliches Fach studierten oder Medizin oder Jura. Griechisch und Latein war obligatorisch. Mit antiken Texten war man längst in Berührung gekommen, bevor man sich überhaupt an einer Universität immatrikulieren konnte; im Griechischen war das oft Platon („Apologie“) oder Xenophon („Anabasis“), auch Verse Homers, im Lateinischen gehörten Cicero, Horaz, Vergil, Ovid dazu. Abiturienten der Jahrgangsstufe 1920 waren mit solchen Autoren vertraut; es gehörte zum humanistischen Bildungsideal, daß man Grundkenntnisse in den alten Sprachen hatte. – Als Blumenberg 1985 emeritiert wurde, war vieles ganz anders. Die Zäsur „1968“ lag dazwischen. Es war keineswegs mehr selbstverständlich, daß die Studenten das Graecum und das große Latinum hatten. An den Universitäten wurde es in Form von Kursen angeboten, die meistens über zwei Semester liefen. – Der Gelehrte kam schon zu dieser Zeit in Verdacht, aus der Zeit gefallen zu sein, weltfremd und „abgehoben“. Blumenberg benutzte in seinen Vorlesungen grundsätzlich ein Katheder, d.h. er hielt seine Vorlesung (neunzig Minuten) im Stehen. Fragen von Studenten waren nicht zugelassen. Auch nach der Vorlesung war der Professor nicht ansprechbar. Blumenberg hat sich der Zeit nicht angepaßt. Ihm war natürlich klar, daß das Auditorium nicht unbedingt griechische und lateinische Zitate verstehen würde und so übersetzte er sie oftmals; aber für ihn blieb es eine Selbstverständlichkeit, daß die alten Sprachen zum Handwerkszeug eines Philosophen und eben auch der Philosophiestudenten gehörten. In den 70er und 80er Jahren war Blumenberg – und ich glaube, er bezeichnet sich an einer Stelle in seinen Schriften auch so – ein „Fossil“. Er verweigerte sich dem Zeitgeist. Ich glaube sogar, daß er ihn – insbesondere was die Universität und ihre damaligen Reformen betraf – insgeheim verachtete; zumindest schlägt er ihm gegenüber in seinen Glossen oft einen spöttischen Ton an. Studenten, die sich bei ihrer Platon- oder Aristoteleslektüre nur noch auf Übersetzungen beziehen konnten, die kein Wort im Original lesen konnten – das war für den Gelehrten Hans Blumenberg eigentlich ein Unding.

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