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„Ein Begriff ist eine Heterogenese, das heißt eine Anordnung seiner Komponenten durch Nachbarschaftszonen […] Da er sich fortwährend nach einer bestimmten Ordnung ohne Abstand durchläuft, befindet sich der Begriff im Zustand des Überfliegens bezüglich seiner Komponenten […] Er ist ein Ritournell.“ (Gilles Deleuze/Felix Guattari; Was ist Philosophie?; S. 27)

„Der andere erscheint hier weder als Subjekt noch als Objekt, sondern – was etwas ganz anderes ist – als eine mögliche Welt. […] Der andere ist eine mögliche Welt, wie sie in einem Gesicht, das sie ausdrückt, existiert und in einer Sprache wirksam wird.“ (Gilles Deleuze/Felix Guattari; Was ist Philosophie?; S. 22f.)

„Denken ist weder ein gespanntes Seil zwischen einem Subjekt und einem Objekt noch eine Revolution, ein Umlauf des einen um das andere. Denken geschieht vielmehr in der Beziehung zu dem Territorium und zu Terra, der Erde […] Die Erde ist kein Element unter anderen, sie vereinigt alle Elemente in einer Umfassung, bedient sich aber des einen oder anderen zur Deterritorialisierung des Territoriums.“ (Gilles Deleuze/Felix Guattari, Was ist Philosophie?; S. 97)

„Ich sehe mich heute ein wenig wie den von Hegel beschriebenen Griechen der Antike: er lauschte, sagt er, leidenschaftlich und ohne Unterlaß auf das Rauschen der Blätter, der Quellen, der Winde, kurz auf das Säuseln der Natur, um darin die Umrisse einer Intelligenz auszumachen. Und ich lausche dem Säuseln des Sinns, wenn ich das Rauschen der Sprache vernehme – jener Sprache, die für mich, als modernen Menschen, meine Natur ist.“ (Roland Barthes; Das Rauschen der Sprache; S. 91) 

Erleben heißt: sich ins Unvollständige einverwandeln. Das Leben in diesem Sinne genommen, besteht ganz in Anekdoten, Augenblicken.“ (Paul Valéry; Werke; Bd. 6; S. 10f.)

„Die Ereignisse sind der Schaum der Dinge, wenn die Brecher über sie hinweggehen. Das Wichtigste ist das am wenigsten Sichtbare. Das Ereignis kommt hoch, erscheint, blendet, verblüfft – und verrauscht. Man muß sorgfältig auf das achten, woran es nichts ändert. Das muß näher betrachtet werden.“ (Paul Valéry; Cahiers/Hefte; Bd. 6; S. 580)

„Keine meiner Untersuchungen wäre ohne den Ansatz der Heideggerschen Fragestellung möglich gewesen; vor allem nicht ohne die Beachtung dessen, was Heidegger die Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden, die ontisch-ontologische Differenz, nennt …“ (Jacques Derrida; Positionen; S. 43)

Die Problematik des Übersetzens und der Unübersetzbarkeiten, die im Vorwort des Vocalulaire Européen des philosophies von Barbara Cassin angesprochen wird, findet sich ähnlich in einem Standardwerk der deutschen Altphilologie, in Bruno Snells Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen von 1946. Darin heißt es: „Wer Gedanken erklären will, die in einer anderen Sprache niedergelegt sind, wird feststellen: das fremde Wort bedeutet dies im Deutschen – und bedeutet es auch auch wieder nicht. Solch Dilemma wird desto größer, je fremder uns die andere Sprache und je weiter daher unser Abstand von ihrem Geist ist. Wenn wir dann in unserer Sprache das Fremde erklären wollen (und das ist die Aufgabe des Philologen), bleibt uns […] nichts anderes als zunächst gewissermaßen Annäherungswerte im Deutschen zu geben und dann abzustreichen, was von den im Deutschen gegebenen Vorstellungen dem Fremden nicht entspricht. […] Dahinter steht allerdings die Überzeugung, daß dies Fremde uns trotz allem verständlich ist, das heißt, daß wir das so Ausgegrenzte doch mit lebendigem Sinn erfüllen, obwohl wir diesen Sinn nicht mit unserer Sprache greifen können.“ (Bruno Snell; Die Entdeckung des Geistes; S. 9f)

„Was das Wirkliche ausmacht, ist, daß es immer wieder von einem anderen Gesichtspunkt aus wahrgenommen werden kann, in anderer Gruppierung oder anderer Vergrößerung, daß es sich stets auch noch in anderer Weise deuten läßt […] Andererseits denken wir vom Wirklichen gerade im Gegenteil, daß es von uns unabhängig ist –, daß es der feststehende Teil ist bei einer Übertragung von Denken oder Erfahrung. Und doch ist das Feststehende daran eben diese Unendlichkeit, dieses Unerschöpfliche.“ (Paul Valéry; Cahiers/Hefte; Bd. 2; S. 77)

„Nicht zu erkennen, was wirkl[ich] war, sondern aufzuhellen, wie sich das, was wirkl[ich] war, zu dem verhielt, was mögl[ich] gewesen war und was durch das, was wirkl[ich] war, erst mögl[ich] wurde, ist das Thema des Historikers.“ (FALSCHE TOTALITÄT DER GESCHICHTE UND TOTALITÄTEN ALS RESTITUTE DES IN DER LEBENSWELT VORENTHALTENEN INTEGRALS (1970), DLA Marbach, Bestandssignatur: A: Blumenberg, Titel: Zettelkasten 05: G-J, Karteikarte 13038.)

„Ich habe sowohl von ‚Klang‘ als von ‚Stimme‘ gesprochen. Ich will damit sagen, dass es sich um Laute von deutlicher – ja, von schier wundersam, schauerlich deutlicher – Silbengliederung handelte. M. Valdermar sprach – ersichtlich in Beantwortung der Frage … […]. Jetzt sagte er: ‚Ja; nein, – ich habe geschlafen – und jetzt – bin ich tot.’“ (Edgar Allan Poe; Faszination des Grauens)

Dieses Fundstück hat Jacques Derrida, neben zwei Husserl-Zitaten, an den Anfang von Die Stimme und das Phänomen gesetzt. Derrida zitiert also Poe, der M. Valdermar zitiert. Für den Leser dieses Blogs verhält es sich sogar so, Nauplios zitiert Derrida, der Poe zitiert, der M. Valdermar zitiert. Dieser M. Valdermar ist allerdings hypnotisiert und auch noch am Leben, wird aber tot sein, sobald er aus der Hypnose erwacht, ein lebender Toter und ein toter Lebender.

Eine Art Metaphorologie avant la lettre liefert Rudolf Eucken, Vater des Nationalökonomen Walter Eucken in: Ueber Bilder und Gleichnisse in der Philosophie. „Namentlich dasjenige, was als selbstverständlich gilt, was die Grundlage der Ueberzeugungen ausmacht, ohne je selbst Gegenstand der Erörterung zu werden, das verräth sich manchmal im Bilde.“ (S. 31f) – Die Abhandlung von Eucken stammt von 1880, also achtzig Jahre vor Erscheinen der Blumenberg’schen Paradigmen.

Das ist für die Funktion eines jeden Mythos charakteristisch: er muss nicht geglaubt werden und wird zumeist nicht geglaubt, aber dies schadet seiner Bedeutung für die, denen er etwas wie Herkunft oder Zukunft zu versichern hat, gar nichts. Ein solcher genealogischer Mythos, der von seinem Nutznießer fast zynisch durchschaut wird, macht ihn trotzdem stolz, weil er gleichsam rückwirkend den Erfolg und die Wesensart des von jenem abstammenden Geschlechts verständlich macht, ist nicht Erfindung des Mythos, sondern die Bedingungen seiner Erfindbarkeit. In ihm spricht sich etwas aus, was zu gerade dieser Legende nicht geführt hätte, wenn es nicht seine Wahrheit hätte. Aber die Wahrheit ist nicht die des erzählten Vorgangs, sondern die der Bedingungen seiner Möglichkeit, dass es so gewesen sein konnte, weil es nachher tatsächlich so gewesen ist. (Hans Blumenberg; Karteikarte 018705 MYTH, A: Blumenberg, DLA Marbach)

Wo man nichts Wahres wissen kann, ist die Lüge erlaubt. (Friedrich Nietzsche; Kritische Studienausgabe 7; S. 450)

Daß sich ohne Denken nicht handeln läßt, hat den Historismus die Geschichte, die er von Handelnden gemacht werden sah, mit dem verwechseln lassen, was diese sich bei ihrem Handeln dachten, oder was diejenigen darüber sagten, was sie sich gedacht hätten, die ihre Taten auslegen. An dieser Verkennung läßt sich lernen, daß die Entdeckung einer Wahrheit nicht davor bewahren muß, sich zu irren. Wie man mit der Wahrheit lügen kann, da sie immer das Unwahrscheinliche ist, so kann sie Erkenntnis verhindern. (Andreas Steffens; Auf Umwegen. Nach Hans Blumenberg denken; S. 121)