Andreas Speer – 1000 Jahre Philosophie. Ein anderer Blick auf die Philosophie des „Mittelalters“

Die Philosophie des Mittelalters ist mit dem Makel belegt, als „Magd der Theologie“ könne sie keine Originalität für sich beanspruchen. Sie sei nicht mehr als ein Interim zwischen Spätantike und Neuzeit, bloß ein Zwischenspiel auf der Weltbühne der Philosophie, das sich als Theaterpause anböte. Es sei kaum mehr theologisch-metaphysische Spekulation und als solche der Betrachtung kaum wert. Die Philosophie des Mittelalters könne man getrost zu den Akten legen.

Überdies stehen die großen Monographien zur mittelalterlichen Philosophie in der Tradition des Historismus, der – beseelt vom Fortschrittsgedanken – im Mittelalter ohnehin eine Zeit der „Finsternis“ gesehen hatte und den Ideenhistorikern zur Konservierung überlassen hatte.

Eben um diese tausend Jahre Philosophie geht es in dem gleichnamigen Bändchen von Andreas Speer; er wirft einen „anderen Blick auf die Philosophie des Mittelalters“. Andreas Speer ist Direktor des Thomas-Institus in Köln und stellt diese tausend Jahre der mittelalterlichen Philosophie auf 130 Seiten vor. Es ist also kein weiteres Kompendium wie Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie oder nach Art der großen Studien von Étienne Gilson oder Martin Grabmann. Speer geht es um den Bezug der tausend Jahre zu dem, was sich selbst als Philosophie der Neuzeit verstanden hat. Er macht deutlich, daß Descartes berühmtes cogito ergo sum kein Nullpunkt oder Gründungsakt der Neuzeit ist. Diese entwickelt sich dagegen aus dem geistesgeschichtlichen Verlauf der mittelalterlichen Schulen und Speer räumt mit dem Vorurteil auf, tausend Jahre Philosophie auf bloße „Scholastik“ zu reduzieren. Vielmehr zeichnen sie sich durch sprachliche und gedankliche Vielfalt aus.

(Nauplios – 12. September 2023)