Differenz und Wiederholung

Gilles Deleuze

Einleitung

Der einleitende Text aus Deleuzes „Differenz und Wiederholung“ führt uns in die faszinierende Welt der Philosophie ein, in der das Konzept der Wiederholung auf höchst komplexe und nuancierte Weise betrachtet wird. Er ermutigt dazu, über die Oberfläche der alltäglichen Erfahrungen hinauszublicken und die tiefere Struktur des Denkens und Seins zu erkunden. Die Unterscheidung zwischen zwei Arten der Wiederholung und die Betonung der inneren Differenz eröffnen neue Perspektiven auf die Natur der Wiederholung und ihre Beziehung zur Differenz.

Deleuze beginnt mit der Aussage, dass Wiederholung keineswegs einfach mit Ähnlichkeit oder Allgemeinheit gleichzusetzen ist, sondern eine eigenständige und kraftvolle Idee darstellt. Eine der zentralen Ideen ist die Unterscheidung zwischen Wiederholung und Allgemeinheit. Die Allgemeinheit wird als jene Ordnung beschrieben, die auf Ähnlichkeiten und Äquivalenzen basiert, die durch Symbole wie Zyklen und Gleichheiten dargestellt werden. Hier finden wir die Konventionen und Regeln, die das Alltägliche und Bekannte ausmachen. Doch die Wiederholung steht in scharfem Kontrast dazu. Die Wiederholung wird als das Einzigartige und Besondere dargestellt, das sich einer einfachen Erklärung durch Ähnlichkeiten oder Äquivalenzen entzieht. Sie stellt eine Herausforderung für die Allgemeinheit und die geltenden Gesetze dar. Sie drückt eine Singularität aus, die sich vom Allgemeinen abhebt, und eine Universalität, die über das Besondere hinausgeht.

Besonders interessant ist, dass das Sittengesetz die Wiederholung nicht wirklich ermöglicht, da es selbst auf der Allgemeinheit basiert. Die Gewohnheit wird ebenfalls als eine Form der Allgemeinheit beschrieben, die auf Ähnlichkeiten und Äquivalenzen beruht. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass die Wiederholung nur gegen das Sittengesetz und das Naturgesetz möglich ist, und sie verkörpert eine besondere Macht, die sich gegen diese Gesetze auflehnt.

Statische Wiederholung bezieht sich auf die einfache Replikation identischer Elemente oder Muster. Dies ist die Art von Wiederholung, die wir oft im Alltag erleben, wenn wir Routinen befolgen oder Dinge auf die gleiche Weise tun. Es ist die Wiederholung von bereits Bekanntem, ein Akt der Imitation, bei dem das Neue oder Einzigartige in den Hintergrund tritt. Statische Wiederholung kann in der Allgemeinheit verharren, da sie lediglich das bereits Existierende repliziert. Dagegen steht die dynamische Wiederholung, die eine viel tiefere philosophische Bedeutung trägt. Diese Art der Wiederholung impliziert eine Wiederholung von Unterschieden und Ungleichheiten. Sie ist der Prozess, durch den das Neue geschaffen wird, nicht durch bloße Imitation, sondern durch die Aktualisierung von Variationen und Differenzen. Dynamische Wiederholung fordert die Allgemeinheit heraus und zielt auf die Erschaffung von Neuem und Einzigartigem ab.

Ausserdem diskutiert Deleuze die Ansichten von Nietzsche und Kierkegaard in Bezug auf Wiederholung. Für Kierkegaard war die Wiederholung eine zentrale Idee in seiner Philosophie. Er betonte die Wiederholung als eine Möglichkeit, über das Konzept von Gut und Böse hinauszugehen und die Freiheit des Einzelnen zu betonen. Kierkegaard sah die Wiederholung als eine Art Bewegung, die es ermöglicht, das Bewusstsein zu erweitern und die persönliche Freiheit zu erforschen. Er argumentierte, dass die Wiederholung nicht dem Sittengesetz unterworfen ist und somit eine neue Sichtweise auf ethische Fragen ermöglicht.
Nietzsche teilte Kierkegaards Betonung der Wiederholung als Weg zur Freiheit und als eine Möglichkeit, das Konzept von Gut und Böse zu überdenken. Für Nietzsche war die Wiederholung eng mit seinem Konzept des „ewigen Wiederkommens“ verbunden, das die Idee beinhaltete, dass alles, was geschieht, unendlich oft wiederholt wird. Diese Vorstellung wurde als Herausforderung an die Konventionen von Moral und Wertvorstellungen angesehen und forderte die Individuen auf, ihre eigenen Werte zu schaffen und zu leben.

Deleuze beschreibt zudem zwei grundlegenden Arten der Wiederholung: diejenige, die sich auf das Gleiche bezieht, und diejenige, die die Idee der Differenz umfasst. Diese Unterscheidung ist von entscheidender Bedeutung, da sie auf die Vielschichtigkeit der Wiederholung hinweist. Die Wiederholung des Gleichen, wie sie oft in alltäglichen Handlungen und Mustern zu finden ist, scheint auf den ersten Blick trivial zu sein. Sie verweist auf Routinen und Gewohnheiten, die unser Leben prägen. Doch selbst in dieser vermeintlich banalen Form der Wiederholung offenbart sich eine Tiefe, die oft übersehen wird. Die innere Differenz, die mit der Idee der Wiederholung einhergeht, ist eine erstaunliche Entdeckung. Sie hebt hervor, dass Wiederholung nicht einfach die mechanische Kopie von Ereignissen oder Gedanken ist. Stattdessen trägt sie eine innere Neuheit und Singularität in sich. Dies bedeutet, dass jede Wiederholung, selbst wenn sie äußerlich identisch erscheint, eine innere Differenz enthält, die sie von früheren Wiederholungen unterscheidet. Dies führt zu der Einsicht, dass Wiederholung keine bloße Wiederholung des Vergangenen ist, sondern eine ständige Erneuerung, ein Prozess, der das Neue in sich trägt. Es wird jedoch auch betont, dass die bloße begriffliche Differenz nicht ausreicht, um die wahre Natur der Differenz zu erfassen. Die Philosophie der Differenz, wie sie in einigen Ansätzen vertreten wird, konzentriert sich möglicherweise zu stark auf die Abgrenzung von Begriffen und die Einschreibung von Unterschieden in diese Begriffe. Dieser Zugang vernachlässigt jedoch die tiefere Dimension der Differenz, die in der inneren Differenz der Wiederholung verwurzelt ist.

Es gibt Wiederholungen, die nicht bloß äußerliche Differenzen sind; es gibt innere Differenzen, die nicht innerlich oder begrifflich sind. Wir können damit die Quelle der vorangehenden Ambiguitäten besser lokalisieren. Wenn wir die Wiederholung als begrifflose Differenz bestimmen, so glauben wir auf den bloß äußerlichen Charakter der Differenz in der Wiederholung schließen zu können; wir sind dann der Ansicht, daß jede innere ,,Neuheit“ genügt, um uns vom Buchstaben zu entfernen, und nur mit einer approximativen, das heißt: durch Analogie gegebenen Wiederholung vereinbar ist. Dem ist nicht so. Denn wir wissen noch nicht, welches das Wesen der Wiederholung ist, was durch den Ausdruck ,,begrifflose Differenz“ positiv bezeichnet wird, die Natur der Interiorität, die er zu implizieren vermag.

Deleuze, Differenz und Wiederholung

Ein spannender Aspekt ist die Betrachtung der Begegnung zwischen den Begriffen der Differenz und der Wiederholung als eine komplexe und interaktive Dynamik. Diese Beziehung zwischen Differenz und Wiederholung ist nicht von Anfang an festgelegt, sondern sie entsteht durch die ständigen Interferenzen und Überschneidungen zwischen den beiden Begriffen. Dies verdeutlicht, dass die Philosophie der Wiederholung und der Differenz ein fortlaufender Prozess ist, der sich entwickelt und verändert, während er erforscht wird.

Die Einleitung schaut zudem auf die Vielschichtigkeit der Wiederholung und ihre Verflechtung mit Bewusstsein und Erinnerung. Dabei werden einmal die Vorstellung von Raum und Zeit als Medien der Wiederholung, die Idee eines realen Gegensatzes und die Wiederholung als „begrifflose Differenz“ betrachtet. Weiterhin wird die Wiederholung als Ausdruck der Hartnäckigkeit des Existierenden betrachtet, während die Natur von Begriffen als im Geist existierend und nicht in der Natur selbst beschrieben wird. Die Verbindung zwischen Verdrängung und Wiederholung nach Freud wird ebenso besprochen. Schließlich wird betont, dass die Wiederholung sowohl tragische als auch komische Dimensionen aufweisen kann, abhängig von ihrer Beziehung zum verdrängten Wissen und zur betreffenden Figur im Theater.

„Eine derartige Situation läßt sich besser begreifen, wenn man bedenkt, daß die Begriffe unbestimmten Inhalts die Begriffe der Natur sind. Als solche befinden sie sich stets in etwas anderem: Sie sind nicht in der Natur, sondern im Geist, der diese betrachtet oder beobachtet und sie sich vorstellt [représente].Darum sagt man, die Natur sei entfremdeter Begriff, entfremdeter Geist, sich selbst entgegengesetzt. Derartigen Begriffen entsprechen Objekte, die selber ohne Gedächtnis sind, d.h. ihre eigenen Momente nicht besitzen und in sich aufnehmen. Man fragt, warum die Natur wiederhole: weil sie partes extra partes, mens momentanea ist. Die Neuheit geht an den sich vorstellenden Geist über: Weil der Geist ein Gedächtnis besitzt oder Gewohnheiten annimmt, vermag er Begriffe überhaupt zu bilden und der von ihm betrachteten Wiederholung etwas Neues abzugewinnen, etwas Neues zu entlocken.“

Deleuze, Differenz und Wiederholung

1. Kapitel: Die Differenz an sich selbst

Im ersten Kapitel „Die Differenz an sich selbst“ steht die Untersuchung der Differenz selbst im Mittelpunkt. Deleuze beginnt damit, die Differenz als einen zentralen Begriff zu etablieren, der das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Konzepten und Gegensätzen grundlegend beeinflusst. Er hebt zwei grundlegende Aspekte der Differenz hervor: den undifferenzierten Abgrund und das weiße Nichts.

Der undifferenzierte Abgrund repräsentiert die radikale Unbestimmtheit und Unverbundenheit, in der alles aufgelöst ist. Hier gibt es keine klaren Unterscheidungen oder Identitäten, sondern eine Art chaotische Offenheit. Im Gegensatz dazu steht das weiße Nichts, auf dem unverbundene Bestimmungen wie vereinzelte Glieder treiben. Dieser Aspekt der Differenz verdeutlicht die Möglichkeit der Bestimmung und Unterscheidung. Die Differenz zwischen diesen beiden Extremen ermöglicht die Abgrenzung und Definition von Konzepten. Deleuze erarbeitet eine präzise Definition der Differenz als eine einseitige Unterscheidung, die als Grundlage für seine weiteren Gedankengänge dient.

Die Philosophie der Differenz strebt danach, die Differenz aus ihrer „verfluchten“ Position zu befreien und sie in eine harmonische und organische Repräsentation zu integrieren. Dies erfordert eine sorgfältige Prüfung und Selektion von Differenzen, um zu bestimmen, welche in den Begriff aufgenommen werden können. Deleuze argumentiert, dass die Differenz nicht einfach eine Gegenüberstellung von Gegensätzen ist, sondern eine einseitige Struktur, die die Grundlage für die Bestimmung von Konzepten und Begriffen bildet. Diese einseitige Unterscheidung führt dazu, dass nicht alle Differenzen gleich sind, und die „größte und vollendetste“ Differenz wird als Artdifferenz bezeichnet. Diese Artdifferenz ist von entscheidender Bedeutung und wirkt in der Form des Wesens. Sie zeichnet sich durch ihre Reinheit, Qualität, Synthetizität, Vermittlung und Produktivität aus. Die Artdifferenz ermöglicht eine harmonische und organische Repräsentation von Konzepten und spielt eine zentrale Rolle in der Philosophie der Differenz.

Ein zentraler Aspekt Deleuzes ist die Idee der Univozität des Seins. Diese besagt, dass das Sein selbst in seiner Bedeutung unverändert bleibt, während es sich in seinen individuellen Modi oder innerlichen Modalitäten unterscheidet. Dies führt zu einer nomadischen Verteilung des Seins, bei der keine festen Grenzen existieren und jedes Wesen in einem offenen Raum existiert. Deleuze unterscheidet diese nomadische Verteilung von der Hierarchie in einer seßhaften Struktur der Repräsentation. Im univoken Sein steht nicht die Ordnung nach festen Prinzipien im Vordergrund, sondern die Betrachtung der Macht der Wesen und ob sie ihre Grenzen überschreiten können. Dies führt zu einer Hierarchie, die der Hybris und Anarchie der Wesen näher steht.

Es gab immer nur einen ontologischen Satz [proposition]: Das Sein ist univok. Es gab immer nur eine Ontologie, die des Duns Scotus, die dem Sein eine einzige Stimme verleiht. Wir nennen Duns Scotus, weil er das univoke Sein zu höchster Subtilität zu erheben wußte, sei es auch um den Preis der Abstraktheit. … Ohne Mühe können wir begreifen, daß das Sein, wenn es absolut gemein ist, deswegen noch keine Gattung ist; es genügt, daß man das Modell des Urteils durch dasjenige des Satzes ersetzt. Im Satz, begriffen als komplexe Entität, unterscheidet man: die Bedeutung [sens] oder das Ausgedrückte des Satzes; das Bezeichnete (was sich im Satz ausdrückt); das Ausdrückende oder Bezeichnende, die numerische Modi darstellen, d. h. differentielle Faktoren, die die bedeutung- oder bezeichnungtragenden Elemente kennzeichnen. Man bemerkt, daß Namen oder Sätze nicht dieselbe Bedeutung besitzen, während sie doch strikt dieselbe Sache bezeichnen. Die Unterscheidung zwischen diesen Bedeutungen ist zwar eine reale Unterscheidung (distinctio realis), sie hat aber nichts Numerisches und noch weniger Ontologisches an sich: Sie ist eine formale, qualitative oder semiologische Unterscheidung.

Differenz und Wiederholung, Deleuze, Seite 58

Allerdings liegt das Wesentliche der Univozität nicht darin, daß sich das Sein in ein und derselben Bedeutung aussagt. Vielmehr darin, daß es sich in ein und derselben Bedeutung von all seinen individuierenden Differenzen oder innerlichen Modalitäten aussagt. Das Sein ist für all diese Modalitäten dasselbe, aber diese Modalitäten sind nicht dieselben. Es ist für alle ,,gleich“, sie selbst aber sind nicht gleich. Es sagt sich in einer einzigen Bedeutung von allen aus, sie selbst aber haben nicht dieselbe Bedeutung. Es gehört zum Wesen des univoken Seins, daß es sich auf individuierende Differenzen bezieht, diese Differenzen aber besitzen nicht dasselbe Wesen und variieren das Wesen des Seins nicht – wie sich das Weiß auf verschiedene Intensitäten bezieht, wesentlich aber dasselbe Weiß bleibt. Es gibt nicht zwei ,,Wege” [voies], wie man im Gedicht des Parmenides geglaubt hatte, sondern eine einzige ,,Stimme“ [voix] des Seins, die sich auf all seine Modi, die verschiedensten, verschiedenartigsten, differenziertesten, bezieht. Das Sein sagt sich in ein und derselben Bedeutung von all dem aus, wovon es sich aussagt, das aber, wovon es sich aussagt, differiert: Es sagt sich von der Differenz selbst aus.

Differenz und Wiederholung, Deleuze, Seite 59

Schließlich wirft Deleuze die Frage nach der Vereinbarkeit von Analogie und Univozität auf. Im univoken Sein bleibt die Essenz des Seins gleich, während es sich in seinen individuellen Modalitäten unterscheidet. Dies führt zu einer qualitativen Unterschiedlichkeit, ohne dass das Sein selbst verändert wird. Dieser Ansatz eröffnet neue Wege für das Verständnis der Differenz, der Identität und der Natur des Seins, indem er die traditionellen Konzepte und Hierarchien in Frage stellt.

Das erste Kapitel behandelt zudem die Philosophie von Leibniz, Platon und anderen in Bezug auf das Konzept der Differenz. Der Fokus liegt auf der Darstellung der verschiedenen Aspekte der Differenz und ihrer Bedeutung für die Identität, Kontrarietät und die Philosophien der genannten Denker.

Leibniz‚ Philosophie betont die Idee der Differenz als eine Art der Abstufung und Hierarchie zwischen verschiedenen Entitäten. Diese Unterscheidung in der Hierarchie der Wesen ermöglicht es, die Einheit und Harmonie im Universum zu bewahren. Leibniz argumentiert, dass die Differenz in der Vielfalt der Monaden besteht, die alle einzigartige Perspektiven auf die Welt haben und dennoch miteinander in Beziehung stehen.
Platons Philosophie wird als Methode der Teilung und Differenzierung dargestellt, um zwischen wahren und falschen Bewerbern zu unterscheiden. Die Methode der Teilung ermöglicht, reine Konzepte aus komplexen Gattungen auszuwählen und die Hierarchie der Partizipation festzulegen. Dieser Prozess der Teilung und Differenzierung wird oft durch Mythen vermittelt, um die Auswahlkriterien zu erklären.
Nietzsches Idee der ewigen Wiederkunft wird ebenfalls behandelt, wobei betont wird, dass das Identische nicht einfach wiederkehrt, sondern sich durch die Differenz entwickelt und transformiert. Die Idee der ewigen Wiederkunft stellt eine Verbindung zwischen Differenz und Identität her, indem sie zeigt, wie das Identische aus der Differenz hervorgeht.
Deleuze kritisiert ausserdem Hegels dialektische Philosophie, in der die Negation und der Gegensatz als zentrale Konzepte gelten. Stattdessen argumentiert er, dass die Bejahung und die Differenz grundlegender sind als die Negation und der Gegensatz. Die Bejahung wird als ursprünglich betrachtet, während das Negative und die Verneinung als sekundär angesehen werden.

In Wahrheit ist die Unterscheidung zwischen dem Selben und dem Identischen nur dann fruchtbar, wenn man am Selben eine Konversion bewerkstelligt, die es auf das Differente bezieht, während gleichzeitig die Dinge und Wesen, die sich im Differenten unterscheiden, auf entsprechende Weise eine radikale Zerstörung ihrer Identität hinnehmen müssen. Nur unter dieser Bedingung wird die Differenz an sich selbst gedacht und nicht repräsentiert, nicht vermittelt. Dagegen wird der ganze Platonismus von der Idee einer Unterscheidung beherrscht, die zwischen ,,dem Ding selber“ und den Trugbildern zu treffen sei. Anstatt die Differenz an sich selbst zu denken, bezieht er sie bereits auf einen Grund und führt die Vermittlung in mythischer Form ein. Umkehrung des Platonismus meint hier: das Primat eines Originals gegenüber dem Abbild, eines Urbilds gegenüber dem Bild anfechten. Das Reich der Trugbilder und Spiegelungen verherrlichen. Pierre Klossowski hat in den oben zitierten Aufsätzen diesen Punkt unterstrichen: Im strengen Sinn bedeutet die ewige Wiederkunft, daß jedes Ding nur als wiederkehrendes existiert, Abbild einer Unendlichkeit von Abbildern, die kein Original und sogar keinen Ursprung fortbestehen lassen. Darum heißt die ewige Wiederkunft ,,parodistisch”: Sie qualifiziert das, was durch sie ist (und wiederkehrt), als Trugbild. Das Trugbild ist der wahre Charakter oder die Form dessen, was ist – des ,,Seienden“ -, wenn die ewige Wiederkunft die Macht des Seins (das Formlose) ist. Wenn die Identität der Dinge aufgelöst ist, entweicht das Sein, erlangt es Univozität und beginnt das Differente zu umkreisen.

Differenz und Wiederholung, Deleuze, Seite 95


2. Kapitel – Wiederholung für Sich Selbst

In diesem Kapitel beschreibt Deleuze drei unterschiedliche Zeitebenen, innerhalb derer Wiederholungen auftreten. Er beginnt mit dem Axiom, dass es außer der Gegenwart keine Zeit gibt, die sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft enthält. Diese Ebenen beschreiben verschiedene Arten, wie die Vergangenheit und die Zukunft in die Gegenwart eingeschrieben werden können, wobei der Grad dieser Einschreibung den Status der Gegenwart beeinflusst.

Die passive Synthese umfasst grundlegende Prozesse des Universums, die einen Impuls in jeden gegenwärtigen Moment tragen. Es handelt sich um eine „Kontraktion“ der Realität, bei der eine diffuse, kontinuierliche Kraft in die Gegenwart gebündelt wird. Vor dem Denken und Handeln durchläuft jede Substanz eine solche Kontraktion. Organismen bestehen aus kontrahiertem Wasser, Erde, Licht und Luft, sowohl in ihren wahrnehmbaren Elementen als auch in ihren inneren Prozessen. Deleuze veranschaulicht diese Ebene mit dem Konzept der Gewohnheit. Gewohnheit verkörpert die Vergangenheit (und deutet auf die Zukunft hin) in der Gegenwart, indem sie das Gewicht der Erfahrung in Dringlichkeit umwandelt. Gewohnheit erzeugt eine Vielzahl von „Larven-Selbst“, von denen jedes wie ein kleines Ego mit Wünschen und Befriedigungen funktioniert. In Freuds Begriffswelt entspricht dies dem Bereich der gebundenen Erregungen, die mit dem Lustprinzip verknüpft sind.

Die zweite Zeitebene – die aktive Synthese– wird durch die aktive Kraft des Gedächtnisses organisiert, die Diskontinuität in den zeitlichen Ablauf einführt, indem sie Verbindungen zwischen entfernten Ereignissen aufrechterhält. Eine Diskussion über das Schicksal zeigt, wie das Gedächtnis die Zeit verändert und eine tiefgreifendere Form der Wiederholung bewirkt. Schicksal besteht nicht aus deterministischen Beziehungen zwischen aufeinanderfolgenden Ereignissen, die in der Reihenfolge der dargestellten Zeitfolge auftreten. Stattdessen beinhaltet es nicht-lokalisierbare Verbindungen zwischen aufeinanderfolgenden, entfernten Handlungen, Resonanz und Echos, objektiven Chancen, Zeichen, Signalen und Rollen, die räumliche Orte und zeitliche Abfolgen überschreiten. Im Gegensatz zur passiven Synthese von Gewohnheiten ist das Gedächtnis in dieser Ebene virtuell und vertikal. Es beschäftigt sich mehr mit Ereignissen in ihrer Tiefe und Struktur als mit ihrer zeitlichen Nähe. Während passive Synthesen ein Feld des „Ich“ erzeugten, wird die aktive Synthese von „Ich“ durchgeführt. In Freuds Begriffswelt beschreibt diese Synthese die verdrängte Energie von Eros, die zu einer suchenden und problematisierenden Kraft wird, anstatt nur ein Anreiz zur Befriedigung zu sein.

Die dritte Zeitebene wird als leere Zeit bezeichnet und existiert immer noch in der Gegenwart, löst sich jedoch von der einfachen Wiederholung der Zeit. Diese Ebene bezieht sich auf ein ultimatives Ereignis von solcher Macht, dass es allgegenwärtig wird. Es handelt sich um ein großes symbolisches Ereignis, wie den Mord an Ödipus oder Hamlet. Wenn eine Schauspielerin diese Ebene erreicht, löscht sie sich als Individuum aus und tritt in die abstrakte Welt der ewigen Wiederkehr ein. Das Ich und das Ego weichen einem „Mann ohne Namen, ohne Familie, ohne Eigenschaften, ohne Selbst oder Ich… dem bereits Übermenschen, dessen zerstreute Mitglieder sich um das erhabene Bild drehen.“ Leere Zeit ist mit Thanatos verbunden, einer entsexualisierten Energie, die durch alle Materie fließt und die Einzigartigkeit eines individuellen psychischen Systems ersetzt. Deleuze betont sorgfältig, dass es für Thanatos keinen Grund gibt, einen spezifisch destruktiven Impuls oder „Todestrieb“ zu postulieren; er betrachtet Thanatos einfach als gleichgültig.

Deleuze beschreibt im letzten Teil des Kapitels differentielle Systeme von Trugbildern oder Phantasiegebilden, die in Resonanz zueinander stehen. Diese Systeme stehen in Beziehung zur Idee der ewigen Wiederkunft und betreffen ausschließlich die Trugbilder und Phantasiegebilde, die immer wiederkehren. D. betont, dass die Differenz zwischen verschiedenen Arten von Bildern besteht, nicht nur zwischen Original und Abbild. Platon selbst betrachtete die Idee des Originals und des Abbilds als zentral, wobei die Differenz zwischen ihnen erst an dritter Stelle stand. Dies führte zur Auswahl von Abbildern aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem idealen Original. Platon hatte das Bestreben, Trugbilder oder schlechte Abbilder auszusondern, was zu einer moralischen Sicht der Welt führte. Jedoch liegt die wahre Unterscheidung in Platons Denken zwischen zwei Arten von Bildern: den Abbildern und den Trugbildern. Die Unterscheidung zwischen Urbild und Abbild dient lediglich dazu, die Unterscheidung zwischen Abbild und Trugbild zu begründen. Die Trugbilder sind dämonische Bilder ohne Ähnlichkeit, die von Differenz leben und mehrere Geschichten gleichzeitig erzählen können.

Dabei stellt er folgende Hypothese auf: die Differenz und das Trugbild sind möglicherweise Urbilder für sich selbst und die Identität des Urbilds und die Ähnlichkeit des Abbilds sind Illusionen, die aus der Funktionsweise des Trugbilds resultieren. Dieses Trugbild funktioniert autonom und durchläuft die dezentralen Zentren der ewigen Wiederkunft immer wieder.

Die Unterscheidung besteht nicht zwischen Original und Bild, sondern zwischen zwei Arten von Bildern. Sie besteht nicht zwischen Urbild und Abbild, sondern zwischen zwei Arten von Bildern (Nachbildungen), von denen die Abbilder (Ebenbilder) nur die erste Art darstellen, während die andere durch die Trugbilder (Phantasiegebilde) konstituiert wird.

Differenz und Wiederholung, Deleuze


3. Kapitel: Das Bild des Denkens

Im dritten Kapitel untersucht Deleuze ein Denkmodell, das sowohl den allgemeinen Diskurs als auch philosophische Debatten maßgeblich beeinflusst. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass menschliches Denken von Natur aus zur Wahrheit tendiert und sich in die Kategorien von Wahrheit und Irrtum einordnen lässt. Diese Vorstellung wurzelt in Bildungseinrichtungen, in denen Lehrer komplexe Probleme vorstellen und die Schüler aufgefordert sind, Lösungen zu erarbeiten, die anschließend als richtig oder falsch bewertet werden. Dieses Modell impliziert auch, dass individuelle geistige Fähigkeiten existieren, von denen jede idealerweise dazu geeignet ist, einen bestimmten Aspekt der Realität am besten zu erfassen.

In der Welt der Philosophie hat dieses Denkparadigma zu zahlreichen Diskursen geführt, die auf der Grundannahme basieren, dass „Jeder weiß…“, was die Wahrheit einer fundamentalen Idee oder Aussage ausmacht. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist Descartes‘ berühmter Ausspruch „Ich denke, also bin ich“, der darauf hindeutet, dass die Fähigkeit zu denken bereits die Existenz begründet. Deleuze weist jedoch darauf hin, dass solche philosophischen Ansätze dazu neigen, alle objektiven Bedingungen zu eliminieren, während sie gleichzeitig die subjektiven beibehalten.

Er geht noch einen Schritt weiter, indem er behauptet, dass wahres Denken eine der anspruchsvollsten geistigen Herausforderungen überhaupt darstellt. Echtes Denken erfordert eine mutige Konfrontation mit der Dummheit – einem Zustand, in dem wir formlos menschlich sind, ohne uns mit den tatsächlichen, komplexen Problemen des Lebens auseinanderzusetzen. In diesem Kontext verweist Deleuze auf die zentrale Rolle der Sinngebung. Sinn dient als Bindeglied zwischen unseren Gedanken und den Realitäten, auf die sie sich beziehen. Das Schaffen von Sinn stellt den Schlüssel zur Wahrheit dar.

Man definiert den Sinn als Bedingung des Wahren; da man aber annimmt, daß die Bedingung eine größere Extension als das Bedingte behält, begründet der Sinn die Wahrheit nicht, ohne auch den Irrtum zu ermöglichen. Ein falscher Satz bleibt also dennoch ein sinnvoller Satz. Und der Unsinn wäre das Merkmal dessen, was weder wahr noch falsch sein kann. Man unterscheidet an einem Satz [proposition] zwei Dimensionen: die Dimension des Ausdrucks, derzufolge der Satz etwas Ideelles aussagt, ausdrückt; und die der Bezeichnung, der-zufolge er Gegenstände anzeigt und bezeichnet, auf die sich die Aussage oder das Ausgedrückte bezieht. Das eine wäre die Dimension des Sinns, das andere die des Wahren und des Falschen. Damit aber würde der Sinn die Wahrheit eines Satzes nicht begründen, ohne hinsichtlich dessen, was er begründet, indifferent zu bleiben. Das Wahre und das Falsche wären eine Sache der Bezeichnung (wie Russe11 sagt: ,,die Frage von Wahrheit und Falschheit betrifft dasjenige, was die Terme und Aussagen anzeigen, nicht was sie ausdrücken“).

Deleuze, Differenz und Wiederholung, Seite 198

In Anbetracht dieser philosophischen Perspektive wird Lernen nicht länger als bloßes Auswendiglernen von Fakten verstanden. Stattdessen wird es als die Fähigkeit betrachtet, das Denken in Einklang mit der Realität zu bringen. Deleuze betont, dass dieser Prozess des Lernens stets im Zusammenspiel mit dem Unbewussten stattfindet, was eine tiefgreifende Verbindung zwischen der menschlichen Natur und unserem geistigen Erbe schafft.

Deleuze präsentiert eine Vision des Denkens auf dem Konzept der Differenz. Diese Vorstellung erzeugt eine dynamische Bewegung, bei der eigene geistige Fähigkeiten und Vorstellungen miteinander verschmelzen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Konzeption ist von herausragender Energie: Sie lässt Sätze entstehen, die sich unaufhörlich weiterentwickeln und anpassen.

Am Ende des Kapitels fasst D. die kritisierten Elemente des traditionellen Denkens in acht grundlegenden Postulaten zusammen, die die Grundlage des herkömmlichen Denkens bilden. Diese beinhalten das Prinzip des Denkens, das von einem guten Willen des Denkers und der natürlichen Güte des Denkens ausgeht, das Postulat des Ideals oder des gesunden Menschenverstands, das Modell der Anerkennung, das Postulat des Elements oder der Repräsentation, das Postulat des Negativen oder des Irrtums, das Postulat der logischen Funktion oder des Satzes, das Postulat der Modalität oder Lösungen und das Postulat des Endes oder Ergebnisses des Postulats des Wissens. Deleuze hinterfragt diese Postulate und setzt alternative Denkansätze dagegen.


4. Kapitel „Die ideelle Synthese der Differenz“

Im vierten Kapitel „Die ideelle Synthese der Differenz“ widmet sich Deleuze der Idee und ihrer Beziehung zur Differentialrechnung. Er stellt zwei Fragen: die nach der Gestalt der Differenz und die nach der Individuation. Die Idee ist eine Struktur, die Probleme und Lösungen miteinander verknüpft und hat drei Momente: Unbestimmtheit, Bestimmbarkeit und Bestimmung. Die Idee ist reziprok bestimmbar durch die Differentialrechnung und schafft eine Verbindung zwischen Virtualität und Aktualität. Sie gleicht einer Gewalt, die zwischen den Vermögen kommuniziert und Probleme als ontologische Fragen darstellt. Diese Fragen sind das, was nicht gedacht werden kann, aber dennoch gedacht werden muss. Die Idee ist somit eine Struktur, die Macht über die Aktualisierung ausübt, aber nicht deren Natur festlegt.

Deleuze führt dann den Begriff der Differentiation und Differenzierung ein, um das Verhältnis zwischen Virtualität und Aktualität zu beschreiben. Die Differentiation beschreibt den virtuellen Inhalt der Idee als Problem, während die Differenzierung die Aktualisierung dieses Virtuellen und die Konstitution der Lösungen darstellt.

Dieses Kapitel führt zu der Frage nach der Aktualisierung und der Genese des Individuums im Prozess der Aktualisierung, die im fünften Kapitel behandelt wird. Deleuze betont, dass das Verhältnis von Virtuellem und Aktuellem nicht von Gesetzen der Ähnlichkeit bestimmt wird, sondern eine andere Art von Relation darstellt.


5. Kapitel „Die asymmetrische Synthese des Sinnlichen“

Ziel des 5. Kapitels ist es, die Grundprinzipien zu erläutern, insbesondere in Bezug auf den Begriff der Individuation und Differenzierung sowie die Bedeutung von Intensität als Grundlage des Sinnlichen.

Ein zentrales Konzept ist die „Intensität“ als Grund des Sinnlichen. Jedes Phänomen verweist auf eine Differenz oder Ungleichheit, die seine Existenz bedingt. Die Intensität ist eine komplexe Vorstellung, die sich durch eine Schachtelung von Differenzen ins Unendliche auszeichnet. Dies besagt, dass die Intensität die Grundlage von Ausdehnung und Qualität ist und in diesen erfahrbar ist.

Des Weiteren wird zwischen „expliziert“ und „impliziert“ unterschieden. Die Implikation soll als eine bestimmte Form des Seins betrachtet werden. Dies impliziert, dass Ausdehnung und Qualität nicht durch quantitative oder qualitative Merkmale erklärt werden, sondern durch die Intensität, die in ihnen impliziert ist.

Deleuze beschäftigt sich auch mit dem Verhältnis von Differenzierung und Individuation. Diese geht der Differenzierung voraus und setzt ein intensives Feld der Individuation voraus. Dies ist ein entscheidender Punkt, da die traditionelle Vorstellung von Arten und individuellen Merkmalen hinterfragt werden. Anhand von biologischen Modellen wird dies deutlich. Arten sollen nicht als feste Linien angesehen werden, sondern als dynamische Felder von Individuationsprozessen. Diese Idee stellt die traditionelle Vorstellung von Arten und individuellen Merkmalen auf den Kopf.

Schließlich wird das Verhältnis zwischen dem Ich (Moi) und dem Ego (Je) unterschieden, diese Konzepte können das Individuum repräsentieren, aber nicht den eigentlichen (Un-)Grund. Deleuze schlägt vor, dass jenseits von Ich und Ego das Individuum und seine Faktoren existieren, darunter Individuation und Individualität.


„Wiederholung und Differenz“

Im Schluss kehrt Deleuze zur Einleitung zurück, in der er das Problem der positiven Explikation der Wiederholung aufgeworfen hat. Der Schluß greift nun die Frage des Anfangs wieder auf und versucht, den Begriff der Wiederholung weiter auszuarbeiten. Deleuze untersucht erneut die Rolle der Repräsentation und wie sie die Differenz zähmt. Die Repräsentation basiert auf Identität und Ähnlichkeit , was die Wiederholung des Gleichen ermöglicht. Die Wiederholung, wie sie in der Repräsentation verstanden wird, erfüllt die Funktion, Identitäten des Begriffs zu erzeugen, die in der Repräsentation schwer von ihr zu unterscheiden sind.

Die Wiederholung findet außerhalb des Begriffs statt und wird als begrifflose Differenz repräsentiert. Die „ontologische Wiederholung“ stellt die Univozität des Seins dar und stellt sich der Repräsentation entgegen. Spinoza und seine Ethik dienen als ein Modell für diese Ontologie der Wiederholung. Diese Ontologie basiert auf der Univozität des Seins, im Gegensatz zur äquivoken Natur der Repräsentation.

Der Schluss des Buches markiert den Höhepunkt und zeigt die Idee der ontologischen Wiederholung als eine Alternative zur Repräsentation.