Thomas Fuchs – Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie

War Dante ein mittelalterlicher Vorfahre des Transhumanismus? – Thomas Fuchs meint: Ja. Denn es geht ihm um den Gedanken der Vervollkommnung der Natur des Menschen, die nach den Vorstellungen des Transhumanismus verbesserungsfähig und verbesserungswürdig ist. Programme der Selbstoptimierung des Menschen sieht Thomas Fuchs vor allem in den Zukunftsvisionen der Forschungen zur Künstlichen Intelligenz angelegt und der Verschmelzung von künstlicher und menschlicher Intelligenz, genauer von Maschinen und Menschen. Fuchs hingegen pocht auf die Leiblichkeit des menschlichen Lebens und sieht ein neues Menschenbild sich verbreitern, das die humanistisch orientieren Vorstellungen vom Menschen hinter sich läßt und durch Algorithmen ersetzt. Vor dieser Verkümmerung der Fülle menschlichen Daseins, zu der wesentlich seine Leibgebundenheit gehört, warnt Fuchs in seinem Buch. Ein moralischer Zuschnitt dieser Warnung ist unübersehbar.

Um seine Argumentation auch historisch abzusichern, begibt sich der Autor auf Spurensuche in die philosophischen und literarischen Traditionsbestände, in denen er Wurzeln des Transhumanismus avant la lettre zu erkennen meint. Als einen der Ahnherren macht er Dante Alighieri aus:

„In Dantes Paradies beschreibt der Dichter nun die Verwandlung und Läuterung, die er im Aufstieg durch die Sphären mit Beatrice erfährt, mit einem Neologismus als trasumanar – von trans und humanus, also ‚über das Menschliche hinausgehen‘ (Canto I: 70)“ (Thomas Fuchs; Verteidigung des Menschen; S. 78f)

Die Stelle im Textzusammenhang lautet:

Trasumanar significar per verba non si porìa; però l’essemplo basti a cui esperïenza grazia serba. („Das Übermenschlichen mit Worten kundzutun vermag doch keiner; doch wem einst die Gnade zuteilwird, es zu erleben, dem mag das Beispiel genügen.“)

Der Gedanke des trasumanar meint bei Dante das Hintersichlassen des menschlichen Status und seiner Daseinsbedingungen auf dem Weg zum Göttlichen. Er meint nicht die mit Nietzsche verbundene, antichristliche Vorstellung des „Übermenschen“. Das „Übermenschliche“ ist nämlich ursprünglich ein Begriff aus der Theologie der alten Kirche (auch bei Goethe und Herder ist der Terminus belegt). Davor verwendet schon Lukian die griechische Version περ-νθρωπς, später Pseudo-Dionysius Areopagita. Der „Übermensch“ (super-homo) ist dann eine genuin christliche Prägung. Dantes trasumanar ist keineswegs ein Fall von Transhumanismus im Sinne einer Optimierung des irdischen Menschseins, sondern eine mit Demut einhergehende Überschreitung in eine durch Gottnähe gekennzeichnete Seinsregion.

Fuchs hat aber nicht nur Dante im Visier, sondern ebenso Paulus, Augustinus, Thomas von Aquin, Pascal u.a. – im Grunde das christliche Mittelalter. Anders als Fuchs meint, ist der Topos der Gottnähe ist jedoch mit keiner Technisierung der menschlichen Natur verbunden, sondern mit ihrer Abstreifung. Athanasios schreibt im 4. Jahrhundert: „Gott ist Mensch geworden, damit wir Gott werden.“ Den Daseinsstatus zu „überschreiten“ hat im gesamten Mittelalter nicht transhumanistische Intentionen (im Sinne des modernen Transhumanismus).

Von einer Maschinentheorie des Menschen kann etwa bei Descartes gesprochen werden oder bei den französischen Materialisten der Aufklärung (La Mettrie; L’Homme Machine).

Thomas Fuchs‘ Verteidigung des Menschen ist ein lesenswertes Buch; es hat allerdings einen moralisch motivierten Furor, der um sich schlägt.

(Nauplios – 05. Oktober 2023)