Unbegrifflichkeit (2)

Begriff und Vernunft – beiden wird in der cartesischen Tradition der Philosophie eine enge Verbindung zugeschrieben. Der Begriff gilt gemeinhin sogar als der „Triumph“ der Vernunft. (vgl. Hans Blumenberg; Theorie der Unbegrifflichkeit; S. 9). Die rein begriffliche Sprache gilt als die vollkommene Entfaltung des Potentials der Vernunft. Das Methodenideal der Einzelwissenschaften hat diese Idealisierung klarer und deutlicher Begrifflichkeit aufgenommen, doch für die Philosophie gilt bis heute, daß sie über keine logische Idealsprache verfügt, zugespitzt formuliert: eindeutige Begriffe sind in der Philosophie selten, am ehesten sind sie noch in der Wissenschaftstheorie zu finden. Die Welt, die Geschichte, das Leben, das Sein … all diese Grundbegriffe der Philosophie haben eine „metaphysische“ Grundierung und sind keine begrifflich fest definierten Größen, wenngleich es philosophische Definitionsversuche dazu gibt.

Dennoch verstehen wir etwas darunter. Es ist ja keineswegs so, daß diese Begriffe uns nichts sagen würden; von einer „kontrollierten Mehrdeutigkeit“ spricht dementsprechend Hans Blumenberg in seinem Aufsatzband Ästhetische und metaphorologische Schriften (S. 125). Natürlich kann die Philosophie diese Begriffe nicht als „unwissenschaftlich“ aufgeben, sie kann aber auch nicht in einen reinen Ästhetizismus flüchten. Zwischen Wissenschaft und Kunst agiert sie ohne den Anspruch an Eindeutigkeit ihrer Terminologie erfüllen zu können, doch zu Recht zweifelt sie, genauer: die Theorie der Unbegrifflichkeit, an der Tragfähigkeit einer Identität zwischen Vernunft und Begriff.

Die Definition des Begriffs gehört zum Standard der wissenschaftlichen Praxis, doch gehört seit Kant ebenso die erfüllte Anschauung dazu. Nun zeigt die Sprachwirklichkeit der Philosophie, daß der Bedeutungshorizont ihrer Begriffe sich geschichtlich verändert; das Bestehen auf fest umrissene Definitionen blendet diese historische Bedingtheit aus. Sie ist aber vor dem Hintergrund von Epochenumbrüchen zu beachten. Ebenso gibt es nicht nur einen historischen Vorbehalt sondern auch einen systematischen: eine erfüllte Anschauung bei Begriffen, die eine Totalität wie Welt, Geschichte, Leben, Sein u.ä. bezeichnen, kann es von solchen Totalitäten nicht geben. Die Legitimität von Unbegrifflichkeit hängt – ohne daß sie sich gegen den Begriff als solchen richtet – mit diesen beiden Momenten zusammen, daß es erstens keine historisch durchgehaltenen Definitionen solcher Begriffe gibt und zweitens, daß ihnen im Sinne Kants keine erfüllte Anschauung gibt. Auch unvollendete Sprachformen wie die Metapher erweisen sich als vernünftig. Unvernünftig wäre dagegen ein Beharren auf Eindeutigkeit und der daraus folgende Ausschluß von Unbegrifflichkeit.



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