Niklas Luhmann – Einführung in die Theorie der Gesellschaft (9) [2]

„Wir blicken über eine rasante Änderung, die nicht in der Planung erzeugt wird, sondern über Evolution geschieht, in die Zukunft.“ (Niklas Luhmann; Einführung in die Theorie der Gesellschaft; S. 213)

Mir scheint, daß das Entscheidende daran die Verabschiedung ehrwürdiger Ziele ist, die für die Gesellschaft ausgegeben werden; beispielsweise das Ziel der Vernunft. Für die moderne Gesellschaft ist die Inthronisierung von Vernunft kein Ziel mehr. „Evolutionäre Errungenschaften“ sind keine Errungenschaften, welche noch vernunfttheoretisch oder moralisch begründet werden könnten. Die Vorstellung eines gesellschaftlichen Fortschritts ist damit obsolet. Evolutionäre Errungenschaften sind in der Regel nicht revidierbar, es sei denn durch Katastrophen. Man kann das sehr schön am Klimawandel sehen und an den Kommunikationen darüber in Politik, Wirtschaft und Kultur. Warum tut sich die Gesellschaft schwer damit, auf drohende ökologische Katastrophen so zu reagieren wie es die Vernunft eigentlich „gebieten“ würde? – Die Funktionssysteme haben eine je eigene Form von Rationalität ausgebildet; es fehlt sozusagen ein Regisseur, der diese Rationalitäten koordinieren könnte. Der Anspruch der Vernunft darauf kann nicht mehr als ein moralischer sein. Solche Ansprüche haben Appellcharakter, aber es sind keine evolutionären Zwänge. Die derzeitige Klimakonferenz in Dubai gibt ein beredtes Zeugnis davon davon. Die Evolutionstheorie wirkt hier desillusionierend auf alle Fortschrittsideologien.



4 Antworten zu „Niklas Luhmann – Einführung in die Theorie der Gesellschaft (9) [2]”.

  1. Die Systemtheorie von Niklas Luhmann ist sehr interessant, jedoch auch abstrakt und daher brauch ich etwas Zeit bis ich sie verstehe. 😉
    Ich habe gerade angefangen Leopold Kohr „Das Ende der Großen“ zu lesen. Ich frage mich gerade ob es ein wenig zu Luhmann passen könnte.
    Der zentrale Gedanke bei Leopold Kohr besteht darin, wonach alles Große zum Scheitern verurteilt ist.

    Like

  2. Leopold Kohr ist mir gänzlich unbekannt. Ich hab‘ ein wenig recherchiert im Netz und habe einige Informationen auch erhalten. Gelesen hab‘ ich von ihm nichts. In Hinblick auf Luhmann muß ich passen. Ob und inwieweit es Überschneidungen gibt oder ähnliche Denkweisen kann ich nicht beurteilen. Was liest Du denn von ihm, Andrea?

    Was den Niklas Luhmann betrifft: ja, es ist sehr abstrakt, das stimmt; es gibt ja in dieser Vorlesung „Einführung in die Theorie der Gesellschaft“ eine ganze Reihe von Beispielen, mehr als in der tausendseitigen „Gesellschaft der Gesellschaft“. Aber diese Beispiele haben auch ihre Tücke darin, daß man die theoretischen Voraussetzungen immer schon akzeptiert haben muß, damit die Beispiele an Illustrationskraft gewinnen können. Insistiert man auf das Alltagsverständnis von Begriffen und Denkweisen bringen einen die Beispiele keinen Schritt weiter; sie illustrieren dann nur die vermeintliche „Falschheit“ der Theorie. Wenn man beispielsweise die Gesellschaft ontologisch denkt als eine Substanz, dann man nach den ersten Zeilen der Vorlesung am besten sofort wieder aussteigen. 🙂 Dann ist nicht etwas an der Theorie „falsch“, sondern alles. Die Theorie ist auf den Kredit des Lesers angewiesen, zumindest am Anfang. Damit wird man dann nicht Systemtheoretiker, der Rückweg aus der Theorie wieder heraus bleibt ja nach wie vor möglich. –

    Like

  3. Ich lese derzeit „Das Ende der Großen“ von Leopold Kohr. Überschneidungen meinte ich gar nicht. Eher eine Verbindung oder vielleicht, dass in Luhmanns Systemtheorie ein Bereich mit Leopold Kohr etwas genauer betrachtet werden kann.
    Ich habe bisher ein Drittel des Buches gelesen, es ist sehr praxisnahe. Daher komme ich sehr schnell voran. Was im Gegensatz zu Luhmann wohl nicht der Fall sein wird.😉

    Ist es denn nicht sowieso so, um die Gedankenwelt von einem Philosophen zu verstehen, sollte man es immer aus dem Kontext der jeweiligen Zeit betrachten (z. B. Platon) und außerdem sich auf die jeweilige Wesensart einlassen. Bei Luhmann ist es abstrakt, gerade dies macht es auch interessant und herausfordernd, sich für seine andere Sichtweise und Theorie zu öffnen.
    Ob die eigenen Fähigkeiten ausreichen, um die jeweilige Theorie zu verstehen ist eine andere Sache. 😉

    Like

  4. Ja, es ist im Grunde das Verstehen eines Textes (das kann auch ein literarischer sein) immer mit dem Verstehen zeitgeschichtlicher und auch geistesgeschichtlicher Hintergründe verbunden. Allzu oft fühlt sich der Leser davon entbunden. Man liest dann etwas, das nicht in die eigene Zeit passen will oder daß uns nach heutigem Verständnis als rückständig, als überholt oder gar als rassistisch u.ä. erscheint. Daß die Menschen in früheren Zeiten über vieles anders dachten und mit anderen Maßstäben urteilten als wir es heute tun, läßt sich nicht bestreiten. Unser Wissen über die Natur, über den Kosmos u.ä. ist natürlich heute sehr viel präziser und hat sich durch die Wirklichkeit bestätigt. Aber damit ist das Irrtümliche nicht zwangsläufig etwas, das uns nichts mehr zu sagen hätte. Historisches Verstehen kann nicht einzig und allein mit der Unterscheidung wahr/falsch operieren. Dann wäre alles Geschichtliche obsolet; nur was in diesem Moment wissenschaftlichen Bestand und Gültigkeit hat, wäre dann noch bedenkenswert. – Das ist eine Form des Denkens, die sich mit dem Namen Fortschritt verbindet. Es zählt dann nur noch das Aktuelle.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar